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Der Nussberger

eine Erzählung von Herbert Georg Ossberger, 1987 Wien

Nein, mein Name ist nicht Nussberger, aber zugegeben ähnlich. Ach, Sie meinen aber mich, obwohl ich nicht der Nussberger bin.

Wissen Sie, jeder verwechselt mich mit dem alten Nussberger - haben Sie ihn noch gekannt? Nein, wie könnten sie auch, wo ihn doch niemand gekannt hat, ja nicht einmal ich, nein ich habe ihn auch nicht gekannt. Sehen Sie, und trotzdem werde ich mit ihm verwechselt - ist doch seltsam, nicht? Jeder verwechselt jeden. Schon als Kind habe ich alle möglichen Frauen mit meiner Mutter verwechselt - es mußte nur irgend etwas ähnlich gewesen sein - die Haare - der Gang oder ein Kleidungsstück. Alles hat ausgereicht, um mich glauben zu machen, es sei meine Mutter. Nur die Stimme, die habe ich gleich erkannt, da habe ich dann gewußt, ob es wirklich meine Mutter ist oder nicht.

Meinen Vater habe ich nie verwechselt. Vielleicht, weil ich ihn nicht so oft tagsüber gesehen habe. Hat er doch arbeiten müssen, wenn er nicht gerade arbeitslos war. Aber mein Vater war ein Mensch, wie es in unserer Gegend niemanden gab. Und seine Glatze hatte etwas Wissendes an sich, wie sie sonst nur von Politikern oder groß en Wirtschaftstreibenden getragen wurde. Ja mein Vater hatte die schöne Glatze eines Denkers oder Philosophen, auch wenn ich ihn nie wichtige Dinge denken oder philosophieren sah - Ein Mensch mit so einer Glatze - Ich war sicher noch zu jung, um ihn zu verstehen, und er zu alt, um sich mit meiner kindlichen naiven Welt auseinanderzusetzen.

Man konnte von ihm halten, was man wollte, aber man konnte ihn nicht verwechseln. Er war er, und dafür ging er auf die Barrikaden. Obwohl meine Mutter gestand, daß früher noch, bevor sie meinen Vater gekannt hat, da soll auch er mit dem Nussberger verwechselt worden sein. Ganz genau so wie ich. Es ist kaum zu glauben. Wer meinen Vater gekannt hat, wird es auch nicht glauben können. Aber die Leute, die ihn noch von früher, also aus einer Zeit, wie er noch jung war, kannten, die konnten sich nicht vorstellen, daß er plötzlich nicht mehr der Nussberger ist. Es war nicht leicht, auch nicht für mich. Auf der einen Seite mein Vater, so wie ich ihn kannte, mit allen Vor- und Nachteilen, wie sie ein Vater nur haben kann. Auf der anderen Seite: Menschen, die ihm zufällig begegneten und Nussberger zu ihm sagten, und für einen Bruchteil einer Sekunde erschien er nur dann auch als Nussberger. Ganz seltsam. Es war als hätte er plötzlich wieder alle Haare und er sprach dann anders. Das hat aber nie lang gedauert - ein paar Sekunden und er hat den Nussberger zum Schweigen ge- bracht. Er liebte es nicht, Leute zu treffen, die ihn an früher erinnerten. Ihm haben genauso wie mich die Frauen zum Nussberger gemacht, zum anderen, der sich unterm Bett verstecken muß ,wenn unerwartet der Ehemann nach Hause kommt, oder der in den Kasten kriechen muß, wenn der gnädigen Frau langweilig geworden ist und sie Nervenkitzel spielen will. Oder was mir immer passiert ist, ein Telefonanruf von einer Gelangweilten, die schrecklich verliebt ist. Entweder in mich oder jemand anderen und ich bin die letzte Rettung. Ich müsse kommen, mich mit den Angebeteten treffen - am besten wo uns niemand kennt, sonst - ja sonst - geschehe ein Unglück. Ja und wenn ich nicht doch immer wieder gegangen wäre, ich würde heute noch warten, doch nein, es ist immer der Nussberger, der wartet. Und wenn sie gelegentlich Trost bei mir suchen, dann ist ihnen eben was dazwischen gekommen, wo dazwischen, mag sich jeder selber denken. Ich beginne langsam zu zweifeln, ob ich mich noch länger mit dem Nussberger verwechseln lassen soll, oder ob ich es nicht so machen will, wie mein Vater. Gut, ich habe den Nussberger gespielt und es hat mir auch Spaß gemacht - Erfahrungen muß ja schließlich jeder sammeln und ich habe als Nussberger Erfahrungen gesammelt. Die schlechten Menschen wollen die Wahrheit nicht wissen und der Nussberger, der kann lügen, daß sich die Balken biegen. Ich glaube der lügt wenn er nur den Mund aufmacht. Trotzdem ist es mir ein Rätsel, warum dieser Nussberger nur so beliebt sein konnte.